Ich habe es ja ehrlich versucht… Ich wollte, dass es ganz anders kommt, wollte einen Unterschied machen… Vorsätze, Ansätze und Wollen war da- und nun bin ich doch ganz genau so einer geworden. Aber der Reihe nach:
Vor 2,5 Jahren zog ich in die Millionenstadt Köln. Nach einem Jahr im Dienste der evangelischen Kirche sah ich mich in einer Übergangszeit zwischen zwei Jobs nach Gemeinden um, die man besuchen könnte. Ich wusste bereits vom mysteriösen Verschwinden der Twenty-Somethings aus Gemeinden; kannte die Statistiken, die von der statistischen Verweiblichung der Gemeinden Zeugnis ablegten. Aber in einer mondänen, lebendigen Stadt wie Köln, voller junger Menschen, musste es doch auch andere Beispiele geben.
Die gibt es eigentlich auch. Es gibt Gemeinden, in denen sich eine beachtliche Anzahl Twenty-Somethings tummelten. Auch männliche… Aber wäre es so einfach gewesen, wäre dieser Artikel hier zu Ende. Ist er aber nicht, weil einfach manchmal auch einfach einfach ist. Ich lege gar nicht sooo viel Wert auf die Predigt und bin es auch gewohnt, progressiver zu denken als die „übliche“ Freikirche von nebenan. Das sind eigentlich keine Gründe an denen es bei mir scheitert. Inspirierende, tiefgründige und vielschichtige Predigten wären toll- jedoch das ist kein besonders bestimmendes Kriterium für mich bei der Gemeindewahl. Aber wenn das Weltbild schon sehr eindimensional ist, vieles monokausal statt komplex dargestellt wird und man von irgendwas den Eindruck vermittelt bekommt, das sei auch schon immer dort so gewesen, dann zieht mich das nicht an. Auch wenn ich vielleicht mit vielen Menschen meines Alters dort Kontakt haben könnte.
Ich fand dann zu einer recht kleinen Gemeinde. Mit Freunden war ich mir einig, dass für uns dort das Wichtige war, was nach den Gottesdiensten geschah: die Begegnung mit den unterschiedlichsten Menschen. Also echte Begegnung- nicht bloß Smalltalk. Auch wenn die Gottesdienste eher wenig ansprechend waren und gefühlt alles auf junge Familien zugeschnitten und von diesen maßgeblich bestimmt wurde, so war das „die Gemeinde meiner Wahl“.
Für einen Zeitraum.
Weil irgendwann war ich auch öfters wieder der einzige männliche Mit-Zwanziger, zumindest der einzige Unverheiratete. Es gibt schlimmeres als unter Frauen des gleichen Alters zu sein, aber gleich und gleich gesellt sich halt manchmal auch gerne. Das war vielleicht der erste Knacks. Der zweite kam, als irgendwann die Gottesdienst-Lokalität gewechselt wurde. Weg von einer coolen, gut angebundenen Jazz-Konzert-Location hin zu einer schlecht erreichbaren (wenn man kein Auto hat) Räumlichkeit in einem alten Gebäude im gefühlten Windschatten der Stadt. „Die Kinder hatten keinen Raum“ und man musste mit ihnen eine Straße weiter…
Als urbaner, junger Mensch geht es mir, ich gebe es gerne zu, um gute Erreichbarkeit. Ich bin lauffaul: wenn ich schon 15 min Straßenbahn fahre, dann möchte ich nicht auch noch einmal dieselbe Zeit laufen müssen. Und ich will nach dem Gottesdienst vielleicht noch weiter in ein Café oder Restaurant- und nicht erst noch recherchieren müssen, ob es das in der Umgebung gibt.
Nun bin ich also auch so einer der verschwundenen Mit-Zwanziger geworden: Zugezogen, interessiert, aber nicht fündig geworden. Nicht andocken gekonnt bzw. vor allem gewollt. Ich schlafe Sonntags nun zumeist aus oder frühstücke mit Freunden. Der ‚Presseclub‘ um 12 Uhr ist meine einzige Konstante am Sonntagvormittag. Will ich geistigen Input oder meine Dosis Sakrales, gehe ich in den Gottesdienst der Landeskirche bei der ich im Kirchenbuch stehe, oder an einen Ort, an dem ich Spiritualität persönlich für mich selber verorte: z.B. das Rheinufer, der Dom oder der Kirchenraum meines Arbeitgebers.
Statistisch müsste es eigentlich echt viele von uns geben. Erst recht in Köln. Wie kommt es, dass wir nirgends hängen bleiben? Wobei wir es doch wollen?
Liegt es an unserer Generation, die mit immer neuen Wort-Anhängseln beschrieben wird? Die Generation Web2.0, Generation Krise, Generation Y, Generation Man-sollte-mal, Generation Schmerzensmann, Generation Maybe. Können wir uns nicht gemeindlich binden, wenn es nicht die Gemeinde ist, in der wir aufgewachsen sind? Sind wir generell zu unverbindlich? Vom Überangebot abgestumpft? Oder ist unser Lebensraum, soziales Gefüge und Sinnsuche durch die digitale Welt verlagert? Von dem allem bestimmt ein wenig zu bestimmten Teilen. Vor allem würde ich aber zwei andere Antworten geben: Sinus und Chancen.
Ich stelle immer wieder fest: die Menschen meines Alters, die sich in den mir bekannten Gemeinden tummeln, haben zumeist nicht nur eine andere Biografie, sondern auch einen anderen Musikgeschmack, andere Interessen und andere Gesprächsthemen. Manchmal ist das Y-Chromosom und der fehlende Ring am Finger schon ein Alleinstellungsmerkmal- im Alltag ist die Situation genau umgekehrt. Und tatsächlich: Menschen, mit denen ich mehr Schnittmenge habe, (nicht nur von meinen sozialen Daten) sind eher ausserhalb von Gemeinden zu finden. Wie kann das sein? Ich finde hier das Wort Kultur wichtig. Weil jede Gemeinde hat eine eigene Kultur. Da ich den freikirchlichen Raum erst mit 19 Jahren kennen lernte, stellte ich als ‚Systemfremder‘ dies sehr schnell fest. Zuerst an der Art zu beten, zu reden, mit der Bibel umzugehen, dem Musikgenre und der -auswahl. Später auch an den Interessensschwerpunkten, Gesprächsthemen, Werten.
Und irgendwann lernte ich das Bauch-Gefühl soziologisch zu belegen: Milieus. Enteilung der Bevölkerung nach Bildungsgrad und (Einkommens-)Schichtzugehörigkeit in Verbindung mit individuellen Werten, Interessen und Lebensstilen. Es ist zugleich erschreckend und lustig, eine teilweise haargenau zutreffende Beschreibung seiner selbst zu lesen. Aber auch eine Beschreibung „der anderen“ zu finden, die sich in Gemeinden tummeln- sowohl derer, die in meinem Alter sind, als auch derer, die das Gemeinde-Klima bestimmen. Laut dem Sinus-Institut gibt es in Deutschland unter Erwachsenen 10 unterschiedliche Milieus– lediglich 3-4 werden von (Kirchen)Gemeinden erreicht. Bei Jugendlichen und Jungen Erwachsenen ist die Lage nochmal unterschiedlich, die Tendenz jedoch bleibt: nur wenige ‚Typen‘ versammeln sich üblicherweise in Gemeinden. Der Rest merkt, dass die Kultur dort anders ist, andere Werte und Interessen das Geschehen bestimmen, fühlt sich als Fremde/r. Oder bringt zudem wie ich noch eine Skepsis gegenüber manchen ‚typischen‘ Sitten und Gebräuchen mit sich.
Wenn wir nicht andocken können oder wollen, liegt das auch daran: für uns wird Gemeinde nicht gemacht. Wir sind nicht „Zielgruppe“. Jetzt würden viele wieder bestreiten, dass es etwas wie Zielgruppenausrichtung in Gemeinden gäbe, aber danach wieder Termine, Inhalte, Schwerpunkte, Lieder, Musikstile, etc. nach eigenem Gutdünken auswählen. Den Verantwortlichen der beiden Volkskirchen ist das schon länger bewusst und es gibt bereits sehr sehr gutes Material, welches die Milieus auf ihre Vorstellungen von Kirche abklopft und Möglichkeiten der Gestaltung aufzeigt. Bisher tut sich in diesem Bereich der Gemeindelandschaft jedoch leider auch wenig.
Ironischerweise würde ich die Lage aber auch gleichzeitig so einschätzen: hätte sich ein Pfarrer oder Pastor echt um uns bemüht; uns Chancen gegeben, Dinge anders zu machen, uns auszuprobieren- ich wüsste einige Personen, die sich zu diesen Gemeinden verorten würden. Aber ich wurde nie mit anderen, die „so sind wie ich“, eingeladen, uns wurde nie die Möglichkeit eröffnet Sachen von uns für uns zu entwickeln. Wir dürfen uns immer nur dazugesellen, anpassen und im besten Fall mitarbeiten. Aber mitsprechen? Auch mal Dinge anders machen? Frei nach Einstein: Probleme werden nicht mit der selben Denkweise gelöst, mit der sie entstanden sind. Will man uns ‚fehlende Generation‘ wiedergewinnen oder uns Haftungspunkte geben, geht das nicht mit dem Angebot von bisher, welches scheinbar nicht wirkt (…für uns! Für andere schon!). Ja, wenn wir statt dem 10 Uhr Gottesdienst bspw. ein „gottesdienstähnliches Mittagessen“ gestalten würden, würden wir wahrscheinlich nicht zur morgendlichen Veranstaltung kommen, das stimmt. Aber wir würden wenigstens kommen…
Eine Studie ging einmal der Gefühlslage der Generation zwischen 19-29 nach. In der Zusammenfassung besagter Studie steht Folgendes:
Neben der hohen Mitarbeit und dem Bedarf Probleme offen zu diskutieren, suchen junge Erwachsene vermehrt die Mitsprache innerhalb der Gemeinde. Im Vorfeld hat sich gezeigt, dass Mitbestimmung in der eigenen Gemeinde sehr wichtig für jE ist. Dazu gehört auch, dass jE die Möglichkeit haben, eigene Ideen in Gemeinden umzusetzen. Diese Möglichkeit wird wahrgenommen, wenn jE wissen, dass ihre Kritik/Meinung von der Gemeindeleitung ernst genommen wird und sie somit auch als Teil der Gemeinde gesehen werden. Neue Ideen werden eher umgesetzt, wenn jE sich in der Gemeinde wohl fühlen. Quelle
Also liebe Pfarrer und Pastoren: schnappt euch die Gemeinde-Touristen, ladet sie ein, esst mit ihnen, hört ihnen zu, gebt ihnen eine Plattform, eine Bühne. Lasst sie kreativ werden. Und vielleicht dürft ihr beim nächsten Willow-Kongress vorstellen, wie ihr es geschafft habt, relevant zu werden für Twenty-Somethings! 😉
Weil: Uns gibt es! Wir sind zumeist sogar noch darüberhinaus interessiert und willig! Aber wir wollen auch ernstgenommen werden, auch einen Raum für uns haben, anders sein dürfen… Gemeinde ist uns nicht egal, aber sie macht sich leider allzu oft selber für uns egal.