Schlimmer ist ja, was nicht gesagt wird…

Veröffentlicht: 10. Oktober 2012 in Ich bin dann mal im Widerstand..., Kirche- (m)ein Traum, Spiritualität
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Ein Freund von mir hat es nun gewagt und ist nach gefühlt 10 Jahren Beziehung und 4 Jahren Verlobung bei quasi feststehendem Hochzeitstermin mit seiner Verlobten zusammengezogen. Was für Menschen ausserhalb von konservativen evangelikalen Gemeinden fast sogar ein wenig spießig-prüde wirkt, wurde von einer Führungsperson der Gemeinde, die er öfters besucht, so kommentiert: „Wir als Gemeinde hätten dir wahrscheinlich nicht dazu geraten…“

Ich kann verstehen, dass man manche Schritte vor einem konservativen Werte-Hintergrund nicht ebenso machen würde und Ansichten nicht teilen muss. Davon lebt unser gesellschaftlicher Diskurs.

Ich kann auch nachvollziehen, wenn man eine Handlung eher ablehnt und als „seines Bruders Hüter“ dieses äussert. Davon lebt vor allem unser politischer Diskurs.

Aber ich finde schlimmer, was alles nicht gesagt wird. Das man sich als religiöse Instanz das Recht zu Kommentieren herausnimmt gestehe ich jedem zu- aber warum ist es meistens so einseitig? Warum hört man folgende Sätze nicht öfters?

„Als Gemeinde würden wir euch nicht dazu raten, den Zweitwagen/diesen SUV/ so einen teuren Wagen zu kaufen!“

„Wir bieten übrigens Seminare zum Thema „Auswege aus der Konsumgesellschaft“ an.“

„Uns als Gemeinde sind die Werte Bescheidenheit, Teilen und Zufriedenheit sehr wichtig. Wir werden in nächster Zeit echt mal ans Eingemachte gehen und unser Verhalten und Prioritäten untersuchen- auch anhand unserer Kontoauszüge. Macht ihr mit?“

„Wir würden euch abraten, euer Geld  bei der Deutschen Bank anzulegen!“

„Wir als Gemeinde versuchen ja gemeinsam mit anderen Menschen, an einer Welt ohne ständiges Wachstum und Zinsen zu arbeiten. Engagiert euch doch mit, wir haben erst bald wieder einen Workshop…“

„Als Gemeinde hätten wir euch von den ganzen Flugreisen abgeraten!“

„Wir hätten euch nicht zum Erwerb dieses Smartphones/Mac-Books/iMacs geraten. Es gibt viel günstigere gleichwertige Produkte! Das gesparte Geld könnt ihr gemeinnützigen Zwecken zukommen lassen!“

„Als Gemeinde beraten wir euch gerne in Sachen Benzin- und Energie-Sparen und energetische Sanierungen!“

„Ah, ihr habt euch also ein Eigenheim in einem Trendviertel gekauft? Wir als Gemeinde hätten euch von dem Mitmischen bei der Gentrifizierung abgeraten“

„Wir als Gemeinde würden euch nicht dazu raten, dass ihr eure Kinder auf „bessere Schulen“ mit geringerem Ausländeranteil schickt, und somit zur Ghettoisierung beitragt.“

„Wir als Gemeinde würden von der Wahl der FDP und CSU dringend abraten- genauso wie dem FC Bayern anzuhängen!“ 🙂

Häufig legitimiert sich der Widerspruch gegen ein Verhalten als das biblische „Salz&Licht“ sein, oder „prophetisches Zeichen“ sein. Die Frage, die sich mir dann nur stellt ist: Warum lebt man „prophetisch“ (also gesellschaftskritisch anders) vor allem nur mit Sexualethik (Betonung des ehelichen Geschlechtsverkehr, Einsetzten für bürgerliche „Familien-Werte“ und häufig patriarchalisch-kulturelle Rollenbilder, Einsetzen gegen Abtreibung)- aber blendet so vieles andere dafür aus? (vor allem Geld und alles was damit zusammenhängt?). Zudem kann man fragen, warum meistens das kritisiert wird, was man selber nicht tut oder nicht selber davon betroffen ist? (bspw. rügt ein verheirateter Pastor die „wilde Ehe“ oder Heterosexuelle homosexuelle Lebensformen). Und wenn ich mir die tatsächlichen Propheten anschaue, dann finde ich dort weniger sexualethische Kritik. Sondern viel öfters finde ich soziale Gerechtigkeit als Parameter um die Frömmigkeit zu kritisieren-oder eben als Indikator für die Gottesbeziehung. Warum taucht das nicht auf? (Luxus zum Beispiel ist ein beliebtes Kritik-Ziel (vgl.) und Bereicherung auf Kosten von Armen (vgl.) . Diese Eintönigkeit (nicht nur in diesem Bereich) stört mich echt- und macht mich auf der anderen Seite wieder glücklich, (mittlerweile) zur ev. Kirche zu gehören, die sich ein viel weiteres Maß an Ausgewogenheit gönnt und (in meiner Wahrnehmung) wesentlich reflektierter und differenzierter ihre Stimme erhebt. Weil schlimmer als das, was gesagt wird, das Fehlen von dem ist, was alles nicht gesagt wird…

Kommentare
  1. Stimme dir zu! Die Einseitigkeit kann einem nur auf die Nerven gehn. Allerdings ist der Fallstrick immer, über den ich auch gerne stolpere, die Moralkäule nur anderweitig zu schwingen. Eine glorreiche Alternative ist mir leider aber auch noch nicht untergekommen. Dir?

  2. timski sagt:

    Ich suche auch noch den Königsweg. Ganz auf die Moralkäule zu verzichten ist ebenfalls -wie ich finde- keine Option und man hat nunmal einen Wertekodex, der einem (politischen) Spektrum entspricht und somit auch mit manchen Punkten ganz einfach keine Schnittmenge. Und die „goldene Mitte“, „Balance“ etc. kommt mir meistens auch eher nur vor wie ein fauler Kompromiss, der keinem weh tun möchte. Vielleicht ist ein Weg (nicht das Ziel), im Freundeskreis/MA-Team etc. breit aufgestellt zu sein und immer wieder den (wechselseitigen!)Dialog mit Menschen anderer Werte-Couleur zu suchen (die einer fundierten Argumentation fähig sind). Dann kann man zusammen die Ausreißer beider Seiten differenziert kritisieren, behält jedoch seinen eigenen reflektierten Schwerpunkt weiterhin bei.

  3. timski sagt:

    Und natürlich ganz viele Blogbeiträge schreiben, die durch ihre ‚Närrische‘ Wirkung (siehe Beitrag „Warum Gott Narren und keine Trolle braucht“) Veränderungsprozesse induzieren in einigen wenigen. 🙂 🙂 (haben wir nicht auch alle Leute, die uns zu dem machten, was wir nun sind?)

  4. Du hast ja gesagt, ich soll;-) Nachdem ich über alles gründlich nachgedacht habe, möchte ich dir noch Folgendes sagen: Es ist nicht immer alles so, wie es mit einem vorurteilsbeladenen Blick zunächst erscheint. Es wäre vorstellbar, dass diese Sätze, die du oben anführst, in einer Gemeinde auch so fallen und sogar noch mehr als das, sogar in Gemeinderundbriefen als Empfehlung an die Mitglieder ausgegeben werden! Du ahnst, dass ich die Möglichkeitsform hier pro forma verwende.

    • timski sagt:

      Tatsächlich ist mir lediglich eine Gemeinde bekannt, der ich dies zutrauen würde. Aber um mich selbst zu zitieren: „aber warum ist es meistens so einseitig? Warum hört man folgende Sätze nicht öfters?“
      Ich denke nicht in Ausschließlichkeit hier („meistens“, „öfters“), sondern gehe von meinem subjektivem Vorfinden aus. Was ich bei „Empfehlungen“ mitkriege ist -bis auf eine Gemeinde- meistens (hihi) einseitiger Art (Landeskirchen ist nochmal ein anderes Fass).
      Und es geht nur um die Kritik der fehlenden anderen Seite- bzw. das in Frage stellen, warum eigentlich nur einseitig Kritik geübt wird, nicht um die Kritik am Kritisierenden oder seinem Standpunkt. Finde ich nochmal wichtig zu betonen.

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